KOLUMNE | 17. Januar 2018
Neid und Missgunst sind keine schönen Gefühle. Vor allem der destruktive Neid (= Missgunst) raubt einem den inneren Frieden. Weg ist die Zufriedenheit mit dem eigenen Ich, dem Leben und dem Glauben an eine positive Entwicklung. Ist man von Missgunst erfüllt, sieht man nur noch Ungerechtigkeiten und liebäugelt im Wunsch nach dem totalen und absoluten Scheitern des Beneideten massiv mit dem Basteln einer Voodoo-Puppe, nach anonymer Rufschädigung und anderen äußerst kranken Ideen. Briefe mit Hundekot oder verleumderische Gerüchte – alles nur eine Frage des Missgunst-Grades. Kein Wunder, dass schon Schopenhauer Neid als „giftige Kröte“ bezeichnet hat. Doch wie wird man dieses widerliche Kröten-Dingsbums wieder los? Und warum ist man überhaupt neidisch? Ob es da eine Verschwörung zwischen sozialen Netzwerken und der Pharma-Industrie (Psychopharmaka gegen Depressionen und Verbitterungsstörungen) gibt? Wer weiß …
Neid ist nicht nur schlecht. Nein, er kann auch dazu anspornen, es dem Beneideten gleichzutun. Dann ist Neid Motivator, Antrieb, so etwas wie Anabolika für den Willen. Diese Art von Neid nennt man konstruktiv, positiv oder auch weiß. Jeder kennt sie, aber – und das ist entscheidend – wird dadurch nicht chronisch wütend und hasserfüllt oder hoffnungslos und depressiv. Nein, das passiert durch den dekonstruktiven, den negativen oder auch schwarzen Neid. Diese Missgunst ist es, die einen so richtig fertig macht. Die einem das Gefühl gibt, die Welt sei ungerecht und man selbst der Benachteiligte. Man fühlt sich als Opfer der Umstände, als vom Leben betrogen und wandelt seinen Frust, seine Enttäuschung und Verzweiflung in den Hass auf den- oder diejenigen um, die das haben, was man selber will. Aber dabei ist es, als fühle man unterschwellig, dass es eigentlich gar nicht darum geht, dass jemand anders Erfolg oder Geld oder Liebe hat, sondern vielmehr darum, dass man es selber nicht hat. Diese Wahrnehmung wird noch verstärkt, wenn man den anderen als gleichwertig oder sogar als weniger ‚berechtigt‘ als sich selbst betrachtet. Und weil wir alle an eine übergeordnete Gerechtigkeit glauben wollen, auch wenn es sie faktisch nicht gibt, stellen wir uns durch dieses negativ ausfallende Vergleichsergebnis auf einmal in Frage. Hinter Missgunst steckt der Zweifel an sich selbst, die Angst vor der eigenen Minderwertigkeit. Und das ist es, was einen so quält und wofür man sich schämt.
„Neid und Eifersucht sind die Schamteile der menschlichen Seele“ – Friedrich Nietzsche
Dabei erfolgt erst durch die Missgunst die Bewertung der eigenen Situation als unzureichend und schlechter – durch Missgunst erniedrigt man sich selbst. Mal drüber nachdenken!
Schädlich, wollte ich sagen. Es gibt nämlich interessante Studien, die genau das untermauern: Soziale Netzwerke wie Facebook erhöhen den Neid-Faktor. Parallel zu der Anzahl der persönlich nicht bekannten ‚Freunde‘ und der auf Facebook verbrachten Zeit soll die Überzeugung steigen, dass es allen anderen besser geht als einem selbst (Utah Valley University, 2012). Kein Wunder, schließlich brauchen wir immer eine Referenzgröße, um etwas (zum Beispiel unsere soziale Stellung) bewerten zu können (vgl. Festingers Theorie des sozialen Vergleichs). Und diese Referenzgröße sind bei Facebook & Co. die gefilterten Positiv-Nachrichten aus dem Leben anderer. Wir sehen nur die Sahnestücke von anderen und vergleichen diese Auslese mit unserem vollständigen Lebensmenü inklusive ungenießbarer Knorpel und Abfälle.
Besonders problematisch finde ich dabei ja persönlich die Zahlen. Wenn jemand anders von seinem Urlaub in der Karibik schwärmt, kann ich mir noch sehr gut unsere Couch als Insel der Gemütlichkeit verklären. Die schwül heiße Luft vertrage ich sowieso nicht. Außerdem hasse ich fliegen. Aber bei den erbarmungslosen Ziffern der Rankings, Likes, Rezensions- und Freundesmengen, wird das Relativieren wirklich sehr schwer. Ständig postet jemand, direkt in amazons Top 100 eingestiegen zu sein, begeistert, fassungslos und seinen Fans sooo dankbar. Fast zwanghaft werfe ich dann einen kurzen Blick auf mein Ranking: Platz 1.500.000. Schwupps sinken meine Laune und mein Selbstwertgefühl in den Keller. Mann, bin ich ein Looser. Daran kann ich wirklich nichts beschönigen. Bleibt nur, den anderen Erfolg klein zu reden und sich an seiner Missgunst zu berauschen.
Sich davon frei zu machen, ist wirklich sehr schwer. Denn das Vergleichen liegt nun mal in der menschlichen Natur. Zum Glück muss man sich auch gar nicht gänzlich davon befreien, um der Kröte zu entkommen. Es reicht, die Vergleichsrichtung zu ändern. Das geschilderte Beispiel ist ein Aufwärtsvergleich. Das Gegenteil davon ist der Abwärtsvergleich. Und der tut uns viel besser. Oh ja.
Ich habe recherchiert! Und ich habe mir, jahaha, ganz selbständig Gedanken über die Zähmung der Missgunst-Kröte gemacht. Also, nicht lang fackeln, sondern meine Lieblings-Tipps lesen und damit der Giftspritze zu Leibe rücken:
Abschließend Kracher-Ratschlag 4: Mache Abwärtsvergleiche mit deiner Vergangenheit und anderen Menschen. Such‘ dir ein Thema aus und finde dazu mindestens drei Beispiele, die im Vergleich zu deiner jetzigen Situation total abstinken. Und siehe da, es könnte nicht nur viel schlimmer kommen, du hast auch schon eine Menge erreicht. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich empfehle den sozialen Abwärtsvergleich ausschließlich mit der Zielsetzung, Dankbarkeit und Wertschätzung für das eigene Leben zu empfinden. Der Blick auf Schlechtergestellte sollte in diesem Sinne mit Gefühlen wie Mitleid, Bedauern und Betroffenheit verbunden sein. Wer andere jedoch gezielt abwertet und verachtet, um sich selbst besser zu fühlen, steckt noch mitten drin im Gift-Kröten-Rodeo und sollte schleunigst abspringen. Nicht sehr viel besser ist übrigens die Selbsterhöhung durch Spott wie es TV-Formate à la ‚Bauer sucht Frau‘, ‚Frauentausch‘ oder ‚Deutschland (Bohlen) sucht den Superstar‘ nahelegen …
Abschließend ein kleiner Videotipp, der sich dem Thema Neid und Eifersucht literarisch annähert (es lohnt sich, das ganze Video zu schauen) und zwei Film-Empfehlungen. „Ist das Leben nicht schön“ mit James Stewart rührt mich immer wieder zu Tränen und ist absolut grandios darin, das Augenmerk auf das zu lenken, was man hat (vgl. Kracher-Ratschlag 3). Und „Was ist mit Bob“ zeigt sehr anschaulich, wohin Missgunst einen bringen kann – außerdem einer meiner absoluten Lieblings-Bill-Murray-Filme.
YouTube-Tipp:Parul Sehgal: Eine Ode an den Neid (13:12 min)
(INFO: Eigentlich finde ich eingebettete Videos toll, aber wegen der EU-Datenschutzverordnung und weil ich mich nicht nicht unbeabsichtigterweise an der Jagd auf eure Daten beteiligen möchte, gibt es nur noch Tipps zum Selberyoutuben bei mir)
*über die Studie von Jan Crusius und Thomas Mussweiler (2012). When People Want What Others Have: The Impulsive Side of Envious Desire. In: Emotion, Band 12, Ausgabe 1, Seite 142-153.
Falls ein Link mal nicht mehr funktionieren sollte, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!
P.S.: Die Bilder im Fließtext stammen von www.pixabay.de
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