Psychosomatik für Anfänger

 

Wie kann man sich erklären, dass heutzutage schon die 30- bis 40-jährigen so massiv über körperliche Zipperlein klagen als wären sie jenseits der 60? Das befremdet nicht nur die Schmerzgeplagten selbst, sondern auch die älteren Generationen. Schließlich ist das Leben dank der zahlreichen technischen Errungenschaften doch noch niemals so leicht gewesen wie heute, oder? Wenn man sich umhört, wohl eher doch nicht! Körperlich leichter heißt nämlich nicht auch geistig leichter. Im Gegenteil sorgen mangelnde Bewegung bei gleichzeitiger digitaler Informationsflut für eine ständige geistige Überlastung. Und da in jedem Normalo auch ein Fizzelchen von Jedi-Macht steckt, manifestiert sich der belastete Geist kurzerhand in echten körperlichen Beschwerden. Hallo Psychosomatik!

 

Wortopolis Kolumne by Britta Stender | Psychosomatik für Anfänger
Wortopolis KOLUMNE | Psychosomatik | Bildquelle: pixabay.com, PublicDomainPictures


Butter bei die Fische: Was ist Psychosomatik?

'Soma' ist der altgriechische Ausdruck für Körper, und 'Psyche' meint alles, was den Geist betrifft. Zusammengesetzt werden daraus körperliche Symptome mit psychischer Ursache. Achtung: Das hat nichts mit Hypochondrie zu tun, bei der man sich Krankheiten nur einbildet. Und es geht auch nicht um psychische Erkrankungen. Psychosomatische Krankheiten haben ganz reale organische Symptome.

Was ist Psychosomatik?
Was ist Psychosomatik? | Bild © Britta Stender

 

Ein Beispiel aus dem Nähkästchen: Vor meinen schriftlichen Examensklausuren schwoll meine Hand an, bis sie aussah wie ein aufgepusteter Gummihandschuh. Der Arzt war ziemlich hilflos und tippte vage auf eine Sehnenscheidenentzündung. Die verordnete Ruhigstellung und Creme brachten natürlich nichts. Aber kaum waren die Klausuren vorbei, war auch meine Hand wieder normal. Hurra, eine Wunderheilung! Vor der mündlichen Prüfung bekam ich dann eine schlimme Halsentzündung, die mir das Sprechen schwer machte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich massiv von mir selbst verarscht. Das war alles so offensichtlich psychomäßig, dass es schon fast lustig war. Als dann kurz vor der Abgabe meiner Dissertation, quasi auf den letzten Metern eines Marathons, mein einer Zeh über Wochen geschwollen und blau war und ich kaum noch auftreten konnte, geriet ich an einen Arzt, der offensichtlich etwas Ahnung von Psychosomatik hatte. Seine erste Frage war: "Haben Sie derzeit viel Stress?" Da wusste ich Bescheid, zog mir trotz schmerzendem Zeh meine Laufschuhe an und lief mir zumindest einen Teil der psychischen Belastung von der Seele. Im Handumdrehen war mein Fuß normal. So einfach ersichtlich ist der Zusammenhang natürlich nicht immer. Trotzdem sollte man im Hinterkopf behalten, dass unser emotionaler Zustand und unser Stresslevel unmittelbar auf die Gesundheit unseres Körpers einwirken. Ohne gesunden Geist ist das mit dem gesunden Körper eben nur schwierig aufrecht zu erhalten.

 

"Das macht mich krank!" – Psychosomatik in der Sprache

Im Bereich der Redewendungen ist Psychosomatik längst ein alter Hut, zum Beispiel wenn man sagt, dass einem etwas auf den Magen schlägt. Das 'Etwas' ist dann in der Regel keine Faust, sondern vielmehr ein Ereignis, mit dem sich die Psyche so unwohl fühlt, dass sie per Bauchgefühl über den Körper Notsignale absetzt.

Vom platzenden Kragen bis zum gebrochenen Herzen und blank liegenden Nerven haben zahlreiche Empfindungen einen bildlichen, körperbezogenen Ausdruck in der Sprache. Aber hat man wirklich keinen Hunger mehr, wenn man 'etwas satt hat'? Bekommt man vom 'ständigen Schlucken' verletzender Beleidigungen oder von Sätzen, die einem 'im Hals stecken bleiben', Halsprobleme? Und wenn die Belastungen, also die zu tragenden Lasten zu groß werden und Aufgaben kaum zu schultern sind, stehen dann Rückenschmerzen an? Psychosomatiker sagen prinzipiell ja, auch wenn die Zusammenhänge häufig weitaus komplizierter sind. Hardliner vermuten sogar bei Verletzungen wie Beinbrüchen u.ä. unbewusste psychische Ursachen, z.B. um auf diese Weise Konflikten am Arbeitsplatz zu entgehen.

Walter Schmidt untersucht in seinem Buch "Dicker Hals und kalte Füße. Was Redensarten über Körper und Seele verraten" viele Redewendungen auf ihre konkrete Verbindung zwischen geistigen und körperlichen Vorgängen hin. Hier sind einige Beispiele für psychosomatische Redewendungen, die sich häufig in körperlichen Beschwerden wiederfinden:

  • Das bricht / zerreißt mir das Herz. Mir ist das Herz so schwer.
  • Ich fühl mich nicht wohl in meiner Haut. Ich krieg die Krätze. Ich habe eine dünne Haut.
  • Das liegt mir schwer im Magen. Das schlägt mir auf den Magen. Mir dreht sich der Magen um. Ich habe es satt. Mir kommt die Galle hoch. Das geht mir an die Nieren. Ärger herunterschlucken.
  • Ich bin nicht im Gleichgewicht. Das ist nicht / kaum zu schultern oder zu er-tragen. Die Situation ist angespannt. Vom Leben gebeugt sein oder zu viel am Hals zu haben. Die Angst im Nacken.
  • Die Nerven liegen blank, sind zum Zerreißen gespannt. Das raubt mir den letzten Nerv. Kalte Füße bekommen.
  • Ich habe einen Kloß im Hals. Mein Hals ist zugeschnürt. Das verschlägt mir die Sprache. Mir platzt der Kragen. Die Nase voll haben.

 

 

Früher: Tod durch Gram, heute: arbeitsunfähig durch Burnout

Arbeitsunfähig durch Burnout
Burnout - wenn alles zu viel wird | Bildquelle: pixabay.com, HaticeEROL

 

Ein 'Tod durch Gram' wie er noch in der Literatur des 19. Jahrhunderts weit verbreitet war – sicherlich auch, weil körperliche Ursachen mit den damaligen Geräten und Methoden gar nicht feststellbar waren – ist heute allenfalls eine lächerliche Vorstellung. Heute gibt es MRTs, CTs, Röntgengeräte, Blutbilder, Abstriche und mehr, um den exotischen Ursachen der Erkrankung auf den Grund zu gehen. Und dass es zahlreiche mögliche Gründe für die Beschwerden gibt, suggerieren uns in einem fort medizinische Webseiten, YouTube-Videos, Arzt- und Krankenhausserien (s. dazu den Begriff 'Cyberchondrie' bei meinen Wortschöpfungen). Psychosomatik als etablierte Fachrichtung hin oder her, Kummer und Stress kommen da eher selten bis gar nicht vor. Von Stress bekommt man eben höchstens einen Herzinfarkt (aber dafür gibt es ja Herzschrittmacher & Co. - eine Standard-OP ...) oder ein Burnout. Dann ist man kaputt, ausgebrannt, funktioniert nicht mehr richtig, muss einfach mal runterfahren. Man liest ja immer wieder davon ... oder hat sogar jemanden im Bekanntenkreis ... Aber für ein Sterben aus Gram, dafür sind wir doch viel zu abgeklärt, durch Medien und soziale Netzwerke viel zu aufgeklärt und – wie die modernen Krankheits-Begriffe anschaulich machen – viel zu technisiert. Kann es sein, dass unsere 'Seele' trotz Psychosomatik-Work-Life-Balance-Geschwafel irgendwie an Bedeutung verloren hat?

 

Im Allgemeinbewusstsein stammen Rückenschmerzen eher von der verkrampften Haltung vor dem Computer als von der mental zu schulternden Last. Magen-Darm-Probleme resultieren aus einer falschen Ernährung und nicht etwa von inneren Konflikten, die wie ein Stein unverdaut im Magen liegen. Krebserkrankungen haben nichts mit unserer Psyche zu tun, sondern mit gespritzten Lebensmitteln, Plastik-Ausdünstungen, Auto-Abgasen, Nikotin etc. Aber was ist, wenn es am Ende doch auf ein Sterben aus Gram hinausläuft, weil wir unsere Gefühle im Zeitalter der Computer und Maschinen einfach nicht mehr wichtig genug nehmen? Wenn hinter den mehr oder weniger ernsten körperlichen Erkrankungen eine leidende Seele steckt? Wenn die moderne Lebensweise mit ihren Pseudo-Freunden in virtuellen Netzwerken, ihrem Massenkosum und ihren Wegwerfartikeln, ihren Spam-Mails und Kurznachrichten im Sintflut-Modus unseren Geist gleichzeitig quantitativ überfordert und qualitativ unterfordert, ihn nie in Ruhe und gleichzeitig vereinsamen lässt? Dann ist es vielleicht sogar logisch, dass unsere Seele unseren Körper als Notbremse benutzt, und zwar parallel zur rasanten technischen Entwicklung zunehmend in  jüngeren Jahren.

 

Psychosomatische Krankheiten erkennen*

Wann sind Symptome psychosomatisch?
Wann sind Symptome psychosomatisch? | Bildquelle: pixabay.com, Berzin

Rücken- und Magenschmerzen, Hautprobleme, allgemeines Unwohlsein – die Beschwerden sind real. Aber wie soll man erkennen, dass es dafür keine organische, sondern eine psychische Ursache gibt? Das Wortopolis an psychosomatischen Redewendungen kann ganz hilfreich dabei sein, um den geistigen Anteil an körperlichen Erkrankungen auf die Spur zu kommen. Hast du zum Beispiel einen Hautausschlag und fühlst dich gleichzeitig aus irgendwelchen Gründen tatsächlich 'unwohl in deiner Haut'. Könntest du vor lauter Ärger 'die Krätze kriegen'? Beleuchte deine Lebenssituation einmal aufmerksam und überprüfe, ob deine körperlichen Beschwerden damit in Zusammenhang stehen könnten. Gibt es eine Redewendung, die in deinem Fall Realität geworden zu sein scheint à la "die Macht ist stark in jenem da..."? Manchmal reicht es schon aus, zu wissen, woher das Leiden kommt, damit es nachlässt.

 

Bei anhaltenden Beschwerden ist der Arztbesuch dennoch unerlässlich. Denn egal wie stark 'die Macht' bei dir ausgeprägt ist, es können auch ganz klassisch organische Ursachen hinter deiner Erkrankung stecken. Und das musst du unbedingt abklären lassen. Auch lassen sich die Symptome meist medizinisch behandeln und lindern. Lass' dich nicht davon abschrecken, dass der Arzt vielleicht keine Ursache finden wird. Du hast Beschwerden und du lässt dich dahingehend durchchecken. Punkt. Wenn du von vornherein einen psychosomatischen Zusammenhang vermutest, kannst du auch gleich einen entsprechend ausgebildeten Mediziner aufsuchen.

 

Was tun bei psychosomatischen Beschwerden*

Was tun bei psychosomatischen Beschwerden?
Was hilft bei psychosomatischen Beschwerden? | Bildquelle: pixabay.com, josealbafotos

 

So wie der kranke Körper behandelt werden muss, muss auch ein bedrängter Geist gesund gepflegt werden. Dabei ist alles hilfreich, was dir einen Ausgleich zu Stress und Belastungen bietet und dir dabei hilft, innere Konflikte zu lösen (mehr Tipps für eine positive Lebenseinstellung findest du in meinem Blog: Ein halbvolles Glas Optimismus, bitte... ).

Probiere zum Beispiel:

  • Achtsamkeit üben, Kleinigkeiten wahrnehmen, bewusst im Hier und Jetzt sein,
  • meditieren, um sich zu erden, zur Ruhe zu kommen, Entspannung zu finden,
  • Pausen machen, um den Alltag zu unterbrechen und das Leben zu genießen,
  • Sport treiben, um Stress abzubauen, Endorphine frei zu setzen und deine Stimmung zu heben,
  • kreativ sein, um die eigenen Sinne intensiv zu erleben und innere Konflikte zu kanalisieren,
  • mit den Händen arbeiten und sich über das vollbrachte Werk freuen,
  • Spaß haben und viel lachen,
  • eine tiefenpsychologische Therapie machen, um deine Probleme zu verstehen,
  • eine Verhaltenstherapie machen, um in der Gegenwart anders handeln zu können.

Welche Erfahrungen habt ihr mit psychosomatischen Beschwerden gemacht? Seid ihr von Arzt zu Arzt gelaufen oder überhaupt nicht mehr zum Arzt gegangen? Wie habt ihr die Beschwerden in den Griff bekommen? Wenn ihr mögt, teilt eure Erfahrungen, Meinungen und Tipps in den Kommentaren!

 



Falls ein Link mal nicht mehr funktionieren sollte, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!

P.S.: Die Bilder im Fließtext (bis auf das vom Handschuh, das hab' ich gemacht...) stammen von www.pixabay.de

* Achtung: Diese Tipps stammen nicht von einer ausgebildeten Ärztin, sondern von einer Literaturwissenschaftlerin mit persönlichen psychosomatischen Erfahrungswerten. Die Berücksichtigung der hier gegebenen Informationen erfolgt immer und ausschliesslich auf eigene Gefahr. Ich übernehme keine Haftung für Schäden irgendeiner Art, die direkt oder indirekt aus der Lektüre meines Artikels entstehen. Im Zweifelsfalle suche bitte immer ärztlichen Rat.

 


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