Akute Aufschieberitis? Tricks' den Affen einfach aus!

 

Kennt ihr das auch? Unangenehme Pflichten vor sich her zu schieben, bis sie sich zu einem schier unüberwindlichen Berg aufgetürmt haben? Ständig dieses schlechte Gewissen und trotzdem geht man es nicht an. Und dann kommt der Termin, zu dem alles fertig sein sollte, aber noch nichts fertig ist. Tataa: Auftritt des Panik-Monsters! Und warum das alles? Welcher Virus ist schuld an der weit verbreiteten Krankheit Aufschieberitis. Tja, er ist klein, hockt am Steurrad in unserem Kopf und sieht aus wie ein irrer Affe…

 

Über Prokrastination alias Aufschieberitis - Wortopolis Kolumne by Britta Stender
Wortopolis KOLUMNE | Aufschieberitis | Bildquelle: pixabay.com, Pexels


Aufschieben bis zum Krankwerden

Die Affen-Theorie stammt von Blogger Tim Urban (s. Video unten), der das Thema Aufschieberitis ebenso anschaulich wie lustig mit Steuerrad im Gehirn, Affe und Panik-Monster erklärt. Doch ich will hier nichts verharmlosen. Es geht um ein ernstes Thema. So ernst, dass es dafür sogar medizinische Fachbegriffe und Ambulanzen gibt. Ja, wirklich. Prokrastination heißt das Phänomen in der Fachsprache. Dieser etwas sperrige Begriff stammt vom lateinischen procrastinare und heißt so viel wie „auf morgen verschieben“. Und auch im Volksmund ist das Leiden ebenso unter dem Begriff Aufschieberitis wie in alten Redewendungen bekannt: „Besser spät als nie“, oder „Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute“. Dabei hat die krankhafte Arbeitsstörung mit Faulheit nun wirklich gar nichts zu tun, sondern vielmehr mit einer beeinträchtigten Selbststeuerung, die von den Betroffenen als sehr leidvoll erlebt wird. Kein Wunder. Ein Affe am Steuerungszentrum im Gehirn klingt wirklich nicht sehr angenehm, eher nach einer disneyhaften Form der Besessenheit. Ich halte noch einmal fest: Die Arbeitsverweigerung der Prokrastinateure hat nichts mit einer freien Entscheidung oder irgendeiner Form der Strategie zu tun. Es ist keine Frage des Wollens, sondern des Könnens. Nun fragst du dich vielleicht: Ist das normal? YouTube-Tipp: Inside the mind of a master procrastinator | Tim Urban (14:04 min).

 (INFO: Eigentlich finde ich eingebettete Videos toll, aber wegen der EU-Datenschutzverordnung und weil ich mich nicht nicht unbeabsichtigterweise an der Jagd auf eure Daten beteiligen möchte, gibt es nur noch Tipps zum Selberyoutuben bei mir.)

 

Was ist schon normal?!

Zumindest gelegentliches Aufschieben ist es absolut. Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass überhaupt nur zwei Prozent der Menschen gar nicht aufschieben. Da frage ich mich doch unwillkürlich: Ist dann das ‚Nicht-Aufschieben‘ nicht eigentlich viel verhaltensauffälliger und in diesem Sinne ‚kranker‘? Tja, alles eine Sache der Definition. Ich sage einfach mal: krank ist, was behandlungsbedürftig ist. Und das sind Verhaltensweisen erst dann, wenn sie unser Wohlbefinden dauerhaft beeinträchtigen. Das gilt definitiv für notorische Aufschieber, deren Selbstwertgefühl massiv unter dem Nicht-Erledigen wichtiger Dinge leidet. Es können sich daraus sogar richtige Depressionen entwickeln. Aber auch Sofort-Erlediger, die unangenehme Pflichten zwanghaft erledigen MÜSSEN, selbst wenn das strategisch unklug ist, können einen gewissen Leidensdruck empfinden. Dabei sorgt die Aufschieberitis aber sicherlich eher für negative Konsequenzen als die Erledigeritis (PRÄkrastination). Warum aber nehmen Prokrastinateure diese Negativ-Folgen in Kauf?

  • Möglichkeit 1: Sie sind heimliche Anhänger des Panik-Monster-Kultes. Denn das Panik-Monster sorgt bei der Befolgung des ersten Gebotes „Tue alles auf den letzten Drücker“ für einen wunderbaren Adrenalin-Kick. Hand in Hand mit dem Adrenalin kommen – quasi als Glaubensbonus – dann ein Energieschub und ein Hochgefühl. Wunderbar. Diese Art der Prokratinateure nennt man in der Forschung Erregungsaufschieber.
  • Möglichkeit 2: Der Affe wird unterbewusst ans Steuer gelassen, um Versagen, Erfolg oder akute Unlust zu vermeiden. So wird der Affe zum heldenhaften Retter des Selbstwertgefühls. Schließlich hätte man ja viel besser sein können, hätte man nur mehr Zeit gehabt… Nicht wahr?! Dieses Verfahren wird auch als ‚Selbstbehinderung‘ bezeichnet – erstaunlich, was die Psyche so alles veranstaltet, um den Selbstwert zu schützen. Prokrastinateure dieser Kategorie gelten als Vermeidungsaufschieber.

 

Falls du dich nun fragst, ob auch du ein Aufschieber bist, kannst du den Selbsttest der Uni Münster machen (natürlich ganz anonym). Tu' es ruhig (spätestens morgen… oder übermorgen… überübermorgen geht auch noch). Denn wie heißt es so schön? Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.

 

Richtig aufschieben will gelernt sein: die besten Ausreden

Und... bist auch du ein Prokrastinateur? Wenn ja, womit rechtfertigst du in der Regel den Aufschub der wichtigen Arbeiten? Man kann zwar einfach sagen: „Ich hab‘ keine Lust“, aber so richtig kreativ ist das ja nicht. Ich schlage stattdessen vor:

  • „Ich muss zuerst noch die Fenster putzen. Sonst bekomme ich nicht genügend Licht zum Arbeiten, verderbe mir die Augen und werde depressiv.“
  • „Wenn der richtige Zeitpunkt zum Anfangen da ist, spüre ich es.“
  • „Ich brauche erstmal die Inspiration einer aufgeräumten Sockenschublade. Vorher läuft gar nichts. Wenn das nicht hilft, bringt’s vielleicht ein alphabetisch sortierter DVD-Schrank oder das Zählen aller Gabelzinken in der Besteckschublade.“
  • „Ich habe einfach noch nicht das richtige Equipment am Start. Solange ich nicht im Lotto gewinne, ist es also eigentlich vollkommen sinnlos anzufangen.“
  • „Was ist eigentlich auf Facebook los?“

 

Einfach alles, was in Relation zu der ungeliebten wichtigen Aufgabe angenehmer erscheint, eignet sich ideal als Futter für den Affen. Doch machen wir uns nichts vor. Irgendwann bringt auch das nichts mehr und wir stehen vor einem riesigen Berg unerledigter Arbeit, fühlen uns einfach nur frustriert und beschämt darüber, dass wir es so weit haben kommen lassen. Was können wir dann tun?

 

Tipps gegen Aufschieberitis: Lenk' den Affen ab und mach' einen Plan

Wenn du wirklich gewillt bist, deinem Prokrastinations-Affen ein Schnippchen zu schlagen, gibt es wunderbar hilfreiche Tricks. Am besten gefällt mir die 50-Prozent-Regel. Dazu schreibst du erst mal alles auf, was du an einem Tag erledigen möchtest. Und – jetzt kommt das Tolle – davon streichst du dann die Hälfte! Wahnsinn. Was für eine Erleichterung, oder? Schon ist der Plan annähernd realistisch, was er mit ziemlicher Sicherheit im Vorfeld nicht war. Sinnvoll ist es dabei, den Plan niederzuschreiben. Sonst breitest du deine Pläne ja direkt vor dem Affen aus. Schwupps, machst du dich der Anstiftung zum Steuerradwechsel schuldig. Also: schreib‘ es auf, streich‘ die Hälfte und such‘ dir eine konkrete Aufgabe aus. Für diese Aufgabe legst du ein genaues Zeitfenster fest. Hilfreich ist es auch, wenn du die Aufgabe zusätzlich in Teilschritte zerlegst. Bestimme außerdem wann und wo du die Aufgabe erledigst. Aufschreiben und machen. Im Anschluss darfst du dich belohnen. Schließlich soll der Affe auch was davon haben. Sonst wird er nur aufmüpfig und plant seinerseits einen Putsch.

Das Belohnen von erwünschten Verhaltensweisen kommt übrigens aus der Verhaltenstherapie und führt zu einer Verstärkung des angestrebten Verhaltens. Also fütter' den Affen ruhig und zähme ihn auf diese Weise. Allerdings musst DU dazu die Fütterungszeiten festlegen. Zeig‘ dem Kerl, wer das Sagen hat. Und wenn das alles nicht klappt, bleibt dir immer noch die Prokrastinationsambulanz.

 

Ich bin neugierig! Mit welchen Argumenten dir selbst gegenüber drückst du dich vor unliebsamen Aufgaben? Oder hast du einen ultimativen Tipp gegen Aufschieberits, den du mit der Welt (oder zumindest den Wortopolis-Lesern) teilen möchtest? Dann freue ich mich auf deinen Kommentar!



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Kommentare: 1
  • #1

    Beate (Montag, 15 März 2021 15:30)

    Lach, ich hab' mich echt wiedererkannt. :)
    Wenn ich keine Lust auf etwas habe, bin ich auf einmal stundenlang in den sozialen Netzwerken unterwegs, obwohl das sonst gar nicht so mein Ding ist. Meistens schiebe ich die Aufgabe aber einfach weg und denk gar nicht mehr dran, bis es sich überhaupt nicht mehr vermeiden lässt.