Hilfe, die Pubertät ist da! Ein Beitrag für gepeinigte Eltern

 

Pubertät ... das heißt neben körperlicher Geschlechtsreife  auch unsinniges Grenzen-Austesten, Eingehen unkalkulierbarer Risiken, übertriebene und sprunghafte Reaktionen, beleidigendes und überhebliches Verhalten, Besserwisserei, Gott-Komplexe und dergleichen mehr Erdogan-Trump-Putin-Verhalten. Grund dafür ist ein massiver Umbau der Hirnstruktur, bei der über einen langen Zeitraum das emotionale Zentrum des Gehirns den Ton angibt. Da stellen sich doch unwillkürlich einige Fragen: Müssen Eltern die Pubertät ihrer Kinder wirklich aushalten oder gibt es irgendwo einen Notausgang? Macht die pubertäre Elternhölle irgendeinen Sinn oder ist sie nichts weiter als eine evolutionäre Fehlentwicklung? Und was kann helfen?

 

Wortopolis Kolumne by Britta Stender
Wortopolis KOLUMNE | Pubertät | ©Britta Stender


Evolutionäre Fehlentwicklungen

Spätestens nachdem ich meine kleinen Neun-Pfund-Klopse geboren hatte, war mir klar, dass beim Homo Sapiens evolutionstechnisch irgendetwas gewaltig schief gelaufen sein muss. Denn welchen Sinn machen diese abartigen Schmerzen und die potenzielle Gefahr für das Leben von Mutter und Kind, wenn es auch so leicht gehen kann wie beim Känguru? Der Nachwuchs kommt als kleines Würmchen zur Welt und wächst dann außerhalb des Mutterkörpers, wohlverwahrt in einem Beutel, zur überlebensfähigen Größe heran. Da das menschliche Baby ja auch nichts kann, wenn es zur Welt kommt – nicht einmal sich alleine umdrehen – wäre das doch ein gar nicht so abwegiges Modell, oder? Oh Mann, wer hätte gedacht, dass ich mal neidisch auf ein Känguru sein würde ...

 

Geburt: Warum nicht wie beim Känguru???
Geburt: Warum nicht wie beim Känguru??? | Bildquelle: pixabay.com, sandid

 

Aber das Dilemma mit dem Gewaltakt der Geburt ist noch nicht alles. Weitere Zweifel an der menschlichen Evolution wirft die Kleinkindentwicklung auf. Erst kommen das Laufen und Grabschen, dann das Reden. Sinnvoller wäre es doch wirklich anders herum: erst Diskussionsfähigkeit, dann Mobilität! Und jetzt, wo unser erster Sprössling in die Pubertät durchstartet, zeigt sich die menschliche Evolution vollends als fehlerhaftes Modell. Warum das Gehirn beim Übergang vom Kindes- in das Erwachsenenalter überhaupt umgebaut werden muss, leuchtet mir nicht besonders ein. Und warum dann auch noch der Teil, der für vernünftige Entscheidungen zuständig ist und wie ein Dirigent alle anderen Hirnkomplexe harmonisch zusammenwirken lässt, als letztes fertiggestellt wird, ergibt ja nun wirklich überhaupt keinen Sinn. Trotzdem sind all die pubertären Umbaumaßnahmen im Hirn dramatischer Fakt:

  • Im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren bauen sich 'überflüssige' Verknüpfungen und Schaltstellen im Gehirn ab, andere entstehen dafür neu. Nach dem englischen Begriff für das Stutzen von Obstbäumen (zugunsten einer gesunden Entwicklung) nennt man diesen Entwicklungsprozess "pruning". Ich befürchte, in die Kategorie 'Überflüssig' fällt auch die Überzeugung von der Unfehlbahrkeit der Eltern ... tragisch!
  • Zuerst (!) reift im pubertierenden Gehirn das limbische System. Das ist für die Verarbeitung von Emotionen, Impulsen und Bewegungen zuständig und sorgt für das typische Pubertätsverhalten: risikoreich, wenig langfristige Folgen abschätzend, an sofortiger Belohnung interessiert (man könnte auch sagen: dumm und arschig ...).
  • Erst ganz zuletzt, im jungen Erwachsenenalter, ist das Vorderhirn (= frontaler Cortex) dran. Es ist sozusagen die Kommando-Zentrale im Gehirn und regelt emotionale Prozesse, kann Vorsicht und Vernunft einschalten, planen und entscheiden, die für rationales Denken und vorausschauendes, überlegtes Planen zuständig sind. Voilà das Kind ist erwachsen geworden.

Eltern versus Peergroup

In der Pubertät werden Freunde immer wichtiger
Freunde werden wichtiger und wichtiger und wichtiger ... | Bildquelle: pixabay.com, Dimhou

 

Aus dem verzückten Blick bedingungsloser Liebe mit dem Klein- und Kindergartenkinder einem ein selbst gemaltes Bild überreichen, wird in der Pubertät manchmal ein überheblicher Ausdruck der Verachtung. Und mitunter findet dieser Blick sogar einen verbalen Ausdruck: "Mama, du bist so dumm" oder "Ihr seid so peinlich" oder "Hast du einen Tumor, oder was?"

 

Hätten nicht schon in frühen Urzeiten die besonders schwer pubertierenden Zöglinge in der Wildnis ausgesetzt und so die pflegeleichten Exemplare 'natürlich selektiert' werden können? Tataa, dank eines evolutionstechnisch optimierten Genpools wäre das Leben von Eltern von der Geburt bis zur Volljährigkeit des Nachwuchses ein angenehmer Spaziergang. Aber nein. Bei der Spezies Mensch muss ja alles auf die harte Tour laufen. Denn offensichtlich waren auch schon vor der Erfindung von 'political correctness' und 'Helikoptermodus' die Eltern nicht in der Lage, ihre aufsässige Brut sich selbst zu überlassen. Oder wie sagt man so schön: Blut ist dicker als Wasser. Und das obwohl die 'Pubertiere', wie sie ein deutscher Film nennt, eigentlich überhaupt keinen Wert mehr auf die elterliche Fürsorge zu legen scheinen. Hauptsache, die Anerkennung der 'Peergroup' ist ihnen sicher. Dieser Ausdruck leitet sich vom englischen Wort "peer" (= gleichstellen) ab. Und genau unter diesem Aspekt macht die auf einmal so große Bedeutung der Clique leider auch Sinn. Denn Jugendliche lernen Selbstbestimmung nicht in dem Machtgefälle der Eltern-Kind-Beziehung, sondern in den sozialen Beziehungen zu Gleichgestellten. Und da laut Untersuchungen von US-Forschern (vgl. GEO-Artikel) diese Bindungen auch psychisch stärken, sollten Eltern auch nicht dagegen arbeiten. Wer im Jugendalter nämlich enge Beziehungen zu einer Peergroup hat, kann später besser mit Ablehnung umgehen, ist seltener depressiv und hat einen höheren Selbstwert. Tja, da habe ich einzelgängerischer Schriftsteller-Nerd wohl die Antwort auf meine Neigung zu Schwermut und Selbstzweifeln ...

 

Verein der Pubertätsgeschädigten

Okay. Wir Eltern müssen da wohl also durch. Einziges Trostpflaster in dieser zum Glück nur vorübergehenden höllenartigen Existenz, ist die Gewissheit, dass man mit diesem Leid nicht alleine ist. Es ist wie ein welt- und zeitumspannender Verein, deren Mitglied man ab einem gewissen Alter seiner Kinder unfreiwillig wird. Man schaue einfach nur in die Geschichte:

  • "Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Äußeres, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte" (Sumerische Tontafel, ca. 3000 v.Chr.)
  • "Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer." (Sokrates, etwa 400 v.Chr.)
  • "Die Welt macht schlimme Zeiten durch. Die jungen Leute von heute denken an nichts anderes als an sich selbst. Sie haben keine Ehrfurcht vor ihren Eltern oder dem Alter. Sie sind ungeduldig und unbeherrscht. Sie reden so, als wüßten sie alles, und was wir für weise halten, empfinden sie als Torheit." (Mönch Peter, 1274) (zit. von www.bildungswissenschaftler.de) 

Trotzdem muss diese Folterzeit ja nicht früher als nötig anfangen. Und daher empfiehlt es sich zum Beispiel, von vornherein die Bildschirmzeit von Kindern einzuschränken. Denn wie Florenzer Forscher vermuten: Monitore machen frühreif. Wenn es dann aber wirklich so weit ist, sind einige Verhaltenstipps durchaus hilfreich.

 

Tipps für Eltern

Hilfe, Pubertät: Tipps für Eltern
Es lohnt sich, durchzuhalten! | Bildquelle: pixabay.com, Alexas_Fotos


Ich habe mich durch die unzähligen Tipps im Internet gewühlt und erstaunt festgestellt, dass sie sich zum Teil doch sehr unterscheiden. Hier gibt's nun meine Top 5, um die schwierige Zeit so gut wie möglich zu überstehen:

  1. Gelassenheit, Akzeptanz und ein ultradickes Fell. Unsere Kinder nabeln sich ab. Damit müssen wir klarkommen, ebenso wie mit der Clique unserer Kinder. Pubertiere (oder richtig - ehrlich wahr: Pubertisten) sagen vieles, was sie eigentlich nicht so meinen. Das ist oft verletzend und macht wütend. Je gelassener wir damit umgehen können, umso besser geht es uns und unseren Kindern.
  2. Regeln setzen, einhalten und vorleben. Unsere Kinder werden erwachsen und können Bevormundung nicht mehr ertragen. Dennoch müssen sie sich an Regeln halten. Das ist einfacher, wenn sie als Hausregeln bestimmt werden, an die sich alle halten müssen. Wichtig: wenn wir etwas verlangen, was wir selbst nicht vorleben, sind wir unglaubwürdig (so ein Mist ...).
  3. Kontakt halten, loben, liebhaben. Egal wie unmöglich sich die störrische Brut benimmt, wir sollten immer weiter den Kontakt suchen und Angebote für gemeinsame Unternehmungen machen. Besondere Leistungen müssen weiterhin gelobt werden und auch elterliche Zärtlichkeiten wie Umarmungen etc. sind in der Pubertät wichtig (natürlich nicht gegen den Willen des Pubertiers).
  4. Reden, Zuhören, Respektieren. Wenn unser Kind uns etwas erzählen will oder Fragen hat, sollten wir – so anstrengend es ist – selbst in den unmöglichsten Situationen darauf eingehen. Nutzen wir jede Möglichkeit für Gespräche. Je mehr wir diese auf Augenhöhe führen, umso eher ist unser Kind bereit, sich zu öffnen. Zum Thema Respekt gehört übrigens auch, das Zimmer des Kindes nicht ohne Erlaubnis zu betreten und dessen Sachen nicht zu durchwühlen.
  5. Loslassen, Verantwortung abgeben, Kompromisse schließen. Wir müssen das mulmige Gefühl ertragen, nicht immer genau zu wissen, wo unsere Kinder sind. Wir müssen sie ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen, auch wenn die unglaublich dumm und kurzsichtig sind. Und wir müssen lernen, bei verhärteten Fronten, Kompromisse zu schließen. So sieht's aus! 

Aber Loslassen … das ist so leicht gesagt und so schwer getan.

 

 

Loslassen – wie funktioniert das?

Loslassen - wie funktioniert das?
Da ziehen sie dahin ... | Bildquelle: pixabay.com, Peggy_Marco

 

Verhält sich das eigene Kind auf einmal rüde und abweisend, schließt einen aus und distanziert sich spürbar, dann kann das richtig, richtig wehtun. Schließlich ist das eigene Kind das eigene Kind – es ist eine der engsten Beziehungen, die man überhaupt nur haben kann. Verhält sich Sohnemann oder Tochterherz dann auf einmal derart abweisend, fühlt sich das nach einem herben Verlust an. Wie soll man damit klarkommen und auch noch gelassen bleiben?

  • Der erste Schritt dazu ist, sich bewusst zu machen, dass sich die Beziehung ‚nur‘ ändert und nicht aufhört. Wandel ist das Wesen der Welt, sich dagegen zu sperren, bedeutet, Entwicklung zu verhindern. Was bleibt und was dir niemand mehr nehmen kann, sind die Erinnerungen an den kleinen Sonnenschein, der dein Sprössling mal war.
  • Der zweite Schritt ist, sich die Bedeutung des Loslassens vor Augen zu führen. Sich abzunabeln ist wichtig, um ein selbständiger und selbstbewusster Mensch mit gesunden Beziehungen zu werden. Dein Kind MUSS dich jetzt aus einer kritischen Distanz heraus in Frage stellen, um seinen eigenen Weg finden zu können. An dieser Arschkarte kommt man leider nicht vorbei, aber vielleicht kann man versuchen, es nicht allzu persönlich zu nehmen.
  • Schritt drei führt wieder zurück zu dir. Sooo lange hat sich alles, alles um dein Kind gedreht. Selbst bei romantischen Dates mit dem anderen Elternteil war das Kind häufig genug Gesprächsthema Nummer eins. Vielleicht war es auch bis vor kurzem noch regelmäßiger Übernachtungsgast im Elternbett? Wenn sich dein Kind jetzt distanziert, ist das auch eine Chance für dich und deine Partnerschaft (so vorhanden) sich neu zu finden. Wer bist du außer Mutter oder Vater noch? Zeit, sich das wieder zurückzuerobern. Und schon gelingt es vielleicht ein wenig leichter, sein Kind ziehen zu lassen.

 

Bist auch du aktuell auch unfreiwilliges Mitglied im Verein der Pubertätsgeschädigten? Wie kommst du damit klar? Hast du noch Tipps? Dann schreibe gerne einen Kommentar!



Falls ein Link mal nicht mehr funktionieren sollte, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!


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