„Da ham sich jetzt welche wegen Klopapier geprügelt“, nuschelt Georg Meier hinter seiner Zeitung hervor und beißt gleich noch mal von seinem Frühstücksbrötchen ab.
„War sogar die Polizei da“, ergänzt er kurz darauf kauend, „leichte Verletzungen, heißt es und dass eine Anzeige wegen Köperverletzung erhoben wurde."
Er legt die Zeitung zur Seite, nimmt einen Schluck Kaffee und schüttelt den Kopf. „Wat die Leute nur mit ihrem Klopapier haben, det soll man eener verstehn!“
„Na, bei dem braunen Vormarsch in der Politik wächst eben der allgemeine Bedarf an Säuberungsutensilien“, erwidert Tom mit spöttisch verzogenem Mund, während er mit den Fingern auf sein Smartphone tippt. Er unterbricht das Tippen und streicht sich seinen langen Pony hinters Ohr. „Oder vielleicht ist es das allgemeine Gefühl, dass die Scheiße über uns zusammenbricht. Was tut man bei Scheiße? Man benutzt Klopapier!"
„Also, Tom, wirklich“, sagte Beate Meier, „musst du dich so ausdrücken? Redest du in der Schule etwa auch so?“
Tom zuckt mit den Schultern. „In der Schule rede ich gar nicht mehr, Mama. Es ist Lockdown! Und wenn, wäre meine Ausdrucksweise ja wohl wirklich die geringste … Ach, was soll’s. Vergiss es. Ich muss jetzt Mathe machen und hochladen, Abgabe ist in einer Stunde.“
Er verschwindet in sein Zimmer.
„Ach, Georg, ich finde das alles wirklich furchtbar. Am liebsten würde ich gar nicht mehr einkaufen gehen. Überall diese Schutzmaßnahmen. Und es lächelt auch niemand mehr oder bleibt zum Plaudern stehen. Man fühlt sich die ganze Zeit richtig bedroht.“ Beate seufzt und nippt an ihrem Becher. „Und du sagst, die haben sich geprügelt wegen Klopapier?“
Georg nickt. „Sind alle irre geworden. Muss so'ne Art Corona-Kollateralschaden sein.“
Als Beate jetzt antwortet, klingt ihre Stimme weinerlich und zittrig: „Muss ich da wirklich rausgehen, Schatz? Das ist ja pure Anarchie. Prügeln beim Einkaufen! Und wenn mir etwas passiert?"
„Wat brauchen wir denn?“
Jetzt weint Beate richtig. „Klopapier“, sagt sie und greift nach einem Taschentuch, um sich zu schnäuzen.
Georg brummt einige unverständliche Worte und tätschelt Beate begütigend den Rücken. Seine Augenbrauen ziehen sich zu einem durchgehenden Strich über den Augen zusammen, von der Straße tönt aggressiv ein lautes Hupen. Die Zeitung liegt noch aufgeschlagen auf dem Tisch. „Prügelei um Klopapier“ springt ihm die Schlagzeile erneut ins Auge. Georg schüttelt leicht den Kopf und seufzt tief.
„Ich versteh‘ den Scheiß einfach nicht“, dringt es genervt aus dem Zimmer seines Sohnes. Georgs Hand klopft mechanisch weiter auf den Rücken von Beate, deren Schultern noch immer zucken. Sein Blick richtet sich ins Leere, die Lippen fest aufeinander gepresst, sträubt sich sein Oberlippenbart wie das Fell einer Katze. Draußen auf der Straße hört er erneut ein Hupen. Lang diesmal und dann ein Krachen, blechern, laut, bedrohlich.
Mehr lesen?
Valentinstags-Special
Bonuskapitel "Ella"
VERLIEBT 5: Valentinstag
Ella schlug die Augen auf und hatte einen Gedanken: Mist! Heute ist Valentinstag. Kurz blieb sie stocksteif im Bett liegen, dann drehte sie sich zur Seite und sah durch das Fenster in den dunklen Himmel. Es war nicht mehr richtig dunkel. Die ersten Ausläufer der frühmorgendlichen Helligkeit überzogen das Nachtblau bereits mit einem fahlen Schimmer. In einer Stunde würde der Himmel in diesem typischen Februar-Hellblau schon wieder seine winterliche Pastellstimmung verbreiten, die kahlen Äste der Bäume als tristen Schattenriss davor. Warum haben die den Valentinstag ...
VERSÖHNT 1: Der Brief
Elenor sah auf den Brief in ihren Händen, als glaube sie nicht wirklich, dass er zwischen ihren Fingern lag. Ihre Stirn war zerfurcht und der Blick aus ihren blassgrauen Augen war misstrauisch und ängstlich. Unsicher glitten ihre Augen über das dicht in blauer Farbe beschriebene Papier, über die kantigen, weit nach links gebeugten Buchstaben, die aussahen, als würden sie sich nur mit Mühe aufrecht halten. Als würde ein kurzes Zittern ihrer Hände genügen, um die Buchstaben zu Fall zu ...
EINSAM 2: Sibell geht
Sibell steht am Fenster und schaut hinaus. Der Himmel ist bedeckt, es nieselt leicht. Die Bäume stechen ihre kahlen Äste in die graue Luft. Wie schwarze Schattenbilder ragen sie vor den tristen Wohnhäusern aus dem Boden. Sibells Herz klopft heftig und laut, ihr Atem geht flach und ihre Hände zittern leicht als sie unendlich behutsam nach dem Sprengstoffgürtel an ihrer Taille tastet. ...
Kommentar schreiben