Ein schrullig-poetischer Independent-Film, optisch eindrucksvoll inszeniert vor der wild-romantischen Kulisse Irlands.
Die Rileys und die Muldoons leben in den einsamen irischen Midlands. Ihre benachbarten Ländereien befinden sich seit Generationen in Familienbesitz und blicken auf lange Traditionen zurück. Doch die Zukunft ist ungewiss. Die Zeit geht ins Land, die Landbesitzer sterben nach und nach und nur Farmerssohn Anthony Riley (Jamie Dornan) und Farmerstochter Rosemary Maldoon (Emily Blunt) sind auf den entlegenen Landstrichen geblieben, bisher ohne eigene Familien zu gründen. Da Rosemary seit Kindestagen unsterblich in Anthony verliebt ist, scheint die naheliegende Lösung für den Erhalt der Farmen in einer Heirat der beiden zu liegen. Doch Anthony ist seltsam. Verrückt, wie manche sagen und geht Rosemary aus dem Weg, ebenso wie allen anderen Frauen. Anthonys Vater hat darum wenig Vertrauen in ihn und plant, die Farm noch vor seinem Tod an einen amerikanischen Verwandten zu verkaufen. Ein Stückchen Muldoon-Land zwischen den Farmen müsste dafür jedoch an die Rileys verkauft werden, was Rosemary trotzig verweigert.
Der Film von John Patrick Shanley basiert auf einem seiner eigenen Bühnenstücke, ist inspiriert von der lyrischen Sprache irischer Midland-Farmer und unter anderem mit Hollywoodgrößen wie Christopher Walken und Emily Blunt besetzt. Eine Fülle von ganzen sechs verschiedenen Produktionsfirmen im Vorspann erweckt den Eindruck, dass es einen unerschütterlichen Willen gab, diesen Film zu machen. Einen Eigensinn, der sich von etwaigen Schwierigkeiten nicht abbringen lässt. Und diesen Willen merkt man auch der sorgfältigen Umsetzung mit viel Detailliebe, augenzwinkernden Anspielungen und einer deutlichen Symbolsprache an.
Vieles sorgt beim ersten Ansehen des Films für Irritation: die sprunghaften Dialoge, in denen mehr verschwiegen als gesagt wird und die einen Kontext vorauszusetzen scheinen, der dem Zuschauer fehlt. Anthonys und auch Rosemarys merkwürdiges Verhalten und die Frage, worauf die Geschichte denn nun hinausläuft oder wovon sie überhaupt handelt. Geht es um den Umgang mit Tod und Verlust, um den Konflikt zwischen Tradition und Moderne oder um eine Liebesgeschichte? Handelt der Film von Angst und Mut, von Identitätsfindung oder von Einsamkeit und Heimat? Oder davon, ob das Glück in Träumen oder realistischen Planungen liegt? Vielleicht geht es auch einfach um einem schrulligen Schlag von Menschen und deren Eigensinn? Es ist von allem etwas dabei. Am Ende merkt man, dass ein Themenfokus auch vollkommen unwichtig ist. Dieser Film ist zum Wirkenlassen da. Man muss ihn gar nicht auf Anhieb verstehen, sondern genießen, ganz besonders auch die Irritationen, die einen wach und lebendig halten und damit genau das tun, was Kunst tun soll.
Die Irritationen lassen sich im Vergleich mit seicht und bedeutungslos dahinplätschernden Romantikkomödien zudem durchaus als Pluspunkt werten. Zum einen, weil sie der Geschichte alle langweilige Vorhersehbarkeit nehmen. Zum anderen, weil sie sich beim wiederholten Ansehen in etwas ganz anderes verkehren: in ein Erkennen und Begreifen, in Belustigung und Rührung. Umso stärker wirken dann auch die emotionalen Multiplikatoren Musik und Bild. Zwei Lieder dominieren den Film, klanglich wie symbolisch. Tschaikowskys leidenschaftlich-dramatisches „Schwanensee“ und das getragene irische Volkslied „Wild Mountain Thyme“. Und dann ist da auch noch das neu komponierte und von Sinéad O’Connor eingesungene „I’ll be singing“, das sich in dem gleichen Spannungsfeld von Gefühl, Dramatik und bittersüßer Romantik bewegt und einen in eine ähnliche Stimmung mitnimmt wie der New-Classic-und-Enya-Soundtrack von „Lord of the Rings“. Zusammen mit der im Bild eingefangenen rau-einsamen Irland-Idylle bietet der Film schon alleine dadurch eine schwärmerische, gefühlsintensive Alltagsflucht, die die zum Anschauen verwendete Zeit für alle Auszeit-Suchenden wertvoll macht.
Dazu kommt der oft absurde und komische, manchmal quälende und am Ende erlösende Tanz aus Konfrontation und Vermeidung zwischen Rosemary und Anthony . Sie: leidenschaftlich, eigenwillig, einschüchternd, voller Sehnsucht und unnachgiebiger Hoffnung. Er: schüchtern, freudlos, tollpatschig bis hin zur Slapstick-Attitüde, geheimnisvoll und tief im Gefühl. Dieser Tanz fügt sich genauso gut in die einsam-urige Landschaft ein wie die Erzählerstimme, die den Anfang und das Ende des Films begleitet. Sie gehört zu Anthonys Vater, der aus dem Jenseits die Geschichte erzählt. „Es heißt, wenn ein Ire stirbt, während er eine Geschichte erzählt, kann man sich sicher sein, dass er zurückkommt.“ Und gilt das nicht überall? Dass Geschichten den Tod überwinden, Andenken bewahren und Leben erhalten? Dieser Film jedenfalls bleibt lebendig, auch wenn der Abspann schon lange gelaufen ist.
Fazit: Der Duft von wildem Thymian hinterlässt einen vielschichtigen Eindruck, der lange nachwirkt und ihn zu einem Film macht, den man bei einem Bedürfnis des Herzens nach Romantik jenseits des Mainstreams, nach weiten, grünen Landschaften und bittersüßen Melodien immer wieder mit allen Sinnen erleben mag.
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