WÜTEND 2: Der Kompromiss

Wortopolis Kurzgeschichte by Britta Stender
© Britta Stender | Wortopolis Kurzgeschichten

Endlich hatten sie einen neuen Schrank für das Wohnzimmer. Das wurde auch Zeit. Gemütlich waren sie Hand in Hand durch die Möbel-Ausstellung geschlendert und hatten sich die verschiedenen Modelle angeschaut. Sie waren sich auch fast sofort einig gewesen. Selbst wenn Theo lieber den abgefahrenen futuristischen Schrank in Hochglanzoptik gehabt hätte. Auch Sofia hatte sich nach kurzen Diskussionen von dem wirklich absolut hinreißenden Schrank im Landhausstil verabschiedet. Sie konnte ja verstehen, dass Theo die Blumenschnitzereien zu verspielt fand. So war das eben, wenn man ein Paar war. Man ging aufeinander zu und fand Kompromisse. Schließlich liebten sie sich. Und so einigten sie sich auf einen schlichten Schrank, der zur restlichen Einrichtung passte und sich einfach unauffällig einfügen würde. Es war ja eigentlich gar nicht so wichtig, wie er aussah. Und seine Funktion würde er schon erfüllen. Dann tranken sie noch einträchtig einen Kaffee im SB-Restaurant, etwas schweigsam vielleicht, aber man konnte sich ja nicht immer etwas zu sagen haben. Nach dem Bezahlen manövrierten sie den Einkaufswagen, beladen mit überdimensionalen braunen Paketen zu ihrem Auto.

 

"Ich glaub', das passt nicht", sagte Sofia und ließ ihren Blick skeptisch zwischen Kofferraum und Einkaufswagen hin und her wandern.

"Doch das passt", antworte Theo.

"Dir fehlt nur das räumliche Vorstellungsvermögen, weißt du?"

"Schon klar", sagte Sofia und verzog ihr Gesicht zu einem falschen Grinsen. "Wir könnten aber auch einfach einen Anhänger mieten oder uns die Sachen gleich anliefern lassen."

"Mach' doch nicht so einen Stress, Schatz. Das passt schon. Außerdem habe ich mir heute extra frei genommen, um den Schrank aufzubauen. Und ... einen Anhänger könnten wir uns zwar mieten, aber dann müsstest du ihn von Hand bis nach Hause ziehen. Unser Auto hat nämlich gar keine Anhängerkupplung." Theo grinste sie breit an. Sofia zuckte – noch immer das falsche Lächeln im Gesicht – mit den Schultern.

"Na gut. Dann mach mal."

 

Sofia stelle sich mit verschränkten Armen neben das Auto und zog auffordernd die Augenbrauen nach oben. Theo behielt recht. Es ging alles ins Auto. Er hatte es ja gewusst. Natürlich musste die Kofferraumklappe offen stehen und ein Teil der Pakete ragte hinten ziemlich weit heraus. Aber wofür gab es rote Fahnen? Und dass Sofia nicht mehr ins Auto passte und mit dem Bus nach Hause fahren musste, war eben so. Geschah ihr auch ganz recht, wo sie ihm beim Einladen noch nicht einmal geholfen hatte. Jetzt war sie ja auch endlich da und sie mussten die Pakete nur noch in den vierten Stock schleppen, zusammenbauen und einen schönen gemütlichen Abend zusammen genießen. Er freute sich schon.

 

"Hey, was soll das?" Theo schielte an dem Paket vorbei zu Sofia, die einfach stehen geblieben war. Dabei versuchte er krampfhaft, das Paket davon abzuhalten, die Treppe wieder hinunter zu rutschen.

"Das ist zu schwer für mich", stöhnte Sofia. "Ich weiß auch gar nicht, wie ich dieses blöde Paket anfassen soll. Ständig rutscht es mir aus den Händen."

"Und dann stellst du es einfach ohne Vorwarnung ab? Geht’s noch? Ich muss das hier die ganze Zeit halten. Außerdem trage ich sowieso den Monster-Anteil. Du musst es doch nur vorne leicht anheben und lenken. Das wirst du doch wohl hinbekommen?!"

 

Sofia hatte es ja gewusst. Sie hätten sich das alles anliefern lassen sollen. Dann kostete es eben ein bisschen mehr und dauerte ein paar Tage. Aber dann wären Schrank und Treppenhaus auch noch unversehrt. Jetzt hatten sie im zweiten Stock einen fetten Kratzer in den Wandputz gerissen. Und weil ihr das schwere Paket einmal aus der Hand gerutscht war, war auch eine Ecke aufgeplatzt und das Holz angestoßen. Sie hatte ja gesagt, dass es ihr zu schwer war. Meine Güte, sie war ja nicht Wonder Woman oder so. Da musste er sich auch gar nicht aufregen. Hätte er auf sie gehört und den Lieferservice des Möbelhauses in Anspruch genommen, wäre das alles nicht passiert und sie hätte auch nicht eine dreiviertel Stunde lang im stinkenden Bus nach Hause fahren müssen. Aber so war er ja immer. Auch schon damals als sie zu spät am Fähranleger angekommen waren ... Nur weil er nicht nach dem Weg hatte fragen wollen. Sie hatte Recht, er ignorierte das und am Ende hatten sie den Salat.

 

Theo sah Sofia im Flur stehen. Sie hatte die Arme verschränkt und machte dieses Gesicht. Er liebte sie. Ja, wirklich. Aber wenn sie so guckte, dann fiel es ihm verdammt schwer, sich daran zu erinnern. Immer diese Rechthaberei. Ständig machte sie alles so kompliziert. Und wenn dann etwas schieflief, dann gab sie ihm die Schuld, so wie damals als sie die Fähre verpasst hatten. Dabei wären sie allemal rechtzeitig dagewesen, wenn sie nicht alle paar Minuten eine Pinkelpause hätte einlegen müssen. Auch diesmal war das alles ihre Schuld. Erst packte sie nicht beim Einladen mit an, weil Madame mal wieder rumzicken musste, und dann konnte sie nicht einmal ein Paket die Treppe hochtragen und weinte ständig herum. Wenn er nicht alles machen würde, dann würde hier gar nichts passieren. Gar. Nichts.

 

"Die Schraube muss erst da rein", sagte Sofia und zeigte auf die Anleitung. "Quatsch, das macht doch gar keinen Sinn. Außerdem brauchen wir die Anleitung gar nicht. Das ist doch absolut selbsterklärend."

"Hier steht aber, dass man zuerst Teil A und Teil B zusammenschrauben muss. Sonst passt nachher Teil C nicht. Was machst du denn da? Die Schraube ist viel zu tief reingeschraubt. Das ganze Furnier splittert ab."

"Bleib mal ruhig, Frau. Das sieht man am Ende gar nicht. Da geht doch die andere Platte vor."

"Theo, du machst das total falsch."

"Ich mache hier gar nichts falsch. Wenn hier jemand etwas falsch macht, dann du. Oder wer hat den Schrank fallenlassen?"

Sofia schnaubte empört. "Ich bin doch nicht Herkuline, was ich auch klar und deutlich gesagt habe. DU wolltest nicht auf mich hören. Und jetzt willst du schon wieder nicht auf mich hören und ruinierst den Schrank."

Theo lachte einmal böse auf. "ICH ruiniere den Schrank? Hör mal, Mäuschen, ich bin es nicht, der gar nichts auf die Reihe kriegt. Du nimmst den Mund zwar immer megavoll und bist ganz toll darin, mir Vorschriften zu machen, aber selber machen tust du nichts. Und warum nicht? Ganz einfach, weil du es nicht kannst. Also, geh' mir nicht weiter auf den Sack."

Sofia zog scharf die Luft ein. "Ich geh' dir also auf den Sack, ja? Du gehst mir deinen Machosprüchen auch gewaltig auf den Keks. Immer den Macker markieren und große Töne spucken. Ja, selbst wenn du alles in die Tonne geritten hast, tust du noch so als wärst du der große Macher. Das ist ja lächerlich. DU bist lächerlich." Mit diesen Worten trat Sofia einmal kräftig gegen das Brett, an dem Theo gerade hantierte. Die erst vereinzelt gesetzten Schrauben brachen heraus, das Brett flog um und krachte auf Theos Fingerspitzen.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht brüllte er: "Bist du jetzt irre geworden, oder was?" Wütend hielt Theo seine Finger in der Spüle unter einen kalten Wasserstrahl. Die war ja verrückt. Erst nervte sie ihn wochenlang, dass sie einen neuen Schrank brauchten. Dann nahm er sich extra frei, um IHR eine Freude zu machen. Und nun das. Sollte die den scheiß Schrank doch selber zusammenbauen. ER wollte den eh nicht haben.

"Ich wollte den Schrank sowieso nicht haben", rief er ins Wohnzimmer rüber.

"Natürlich wolltest du. Alleine hätte ich diesen hässlichen Schrank bestimmt nicht gekauft."

"Du findest ihn hässlich? Soll das ein Scherz sein?"

"Auf was anderes konnten wir uns doch nicht einigen, Theo. Du wolltest meinen Schrank, der hier übrigens fantastisch hingepasst hätte, nicht haben. Und dein Schrank...", Sofia stand jetzt im Türrahmen der Küche und blitzte Theo mit verschränkten Armen zornig an. "Jetzt mal ehrlich ... Dein Schrank war ja wohl die totale Geschmacksverirrung. Jetzt haben wir eben beide einen Schrank, den wir nicht wollen. Der perfekte Kompromiss, oder?!"

Theo sah sie einen Augenblick entgeistert an und atmete dann schnaufend ein und aus. "Weißt du was? Du und dein Kompromiss, ihr könnt mich mal. Ich scheiß auf den Kompromiss! Wenn ich einen Hochglanzschrank haben will, dann kauf ich ihn mir ab jetzt einen. Und wenn ich durchfahren möchte, um die Fähre zu kriegen, dann werde ich das auch tun! Ich hab' die Schnauze sowas von voll! Sowas von!"

Noch während er schimpfte, schoss Theo einen leeren Karton durch die Wohnung, stapfte zur Wohnungstür und ließ sie krachend hinter sich ins Schloss fallen.

 

Sofia blieb mit verschränkten Armen in der Küchentür stehen. Und wieder einmal hatte sie Recht gehabt. Er. Ruinierte. Alles. Den Schrank, die Beziehung. Nur weil er nicht auf sie hörte. War es denn so schlimm, einmal nach dem Weg zu fragen?


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