VERLIEBT 2: Ungleiche Ohren

Wortopolis Kurzgeschichte by Edda Keyser
© Britta Stender / Wortopolis Kurzgeschichten

„Da! Siehst du? Unter Beziehungsstatus steht es schwarz auf weiß: In ... einer ... Beziehung.“ Jana atmete mit einem kleinen Schluchzer tief ein und ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. „Jetzt hab' ich doch null Chancen mehr. Dabei würde ich viel besser zu ihm passen als diese, diese... Ach, guck' sie dir doch nur mal an auf diesem Foto.“

Andreas zuckte mit den Schultern. „Wieso? Die sieht doch ganz nett aus.“

„Ja, eben. NETT. Nett... wie die kleine Schwester von Scheiße... Die blöde Sumpfkuh. O Mann... Das ist so, so, ach, einfach so unfair.“

„Jetzt steiger' dich da nicht so rein, Jana. Wahrscheinlich ist das eh nur was Kurzes. Was anderes könnte ich mir bei dem Typen jedenfalls nicht vorstellen.“

Jana seufzte und kleine Schluchzer mischten sich in ihre Antwort: „Meinst du?“

Dann schwiegen beide eine Weile, bis Jana niedergeschlagen sagte: „Nee, wenn das was Kurzes wäre, hätte er es garantiert nicht online gestellt.“ Sie zog geräuschvoll die Nase hoch. „In einer Beziehung“, murmelte sie dann mit Grabesstimme. „Und auch noch mit einer, die NETT aussieht. Ich könnte kotzen! Ach Mensch, was soll ich denn jetzt machen, Andreas?!“

Andreas schaute Jana genervt und hilflos zugleich an: „Keine Ahnung. Vielleicht solltest du dich einfach mal nach anderen Kerlen umgucken. Andere Mütter haben auch schöne Söhne, weißt du?“

„Ach, du hast ja keine Ahnung. Warst du überhaupt schonmal verliebt? Wenn ja, dann wüßtest du, dass man das nicht einfach so abstellen kann.“

Andreas kniff die Lippen fest zusammen: „Ja, das weiß ich ... leider.“ Nach kurzem Schweigen stand er auf: „Ich muss jetzt los. Wir sehen uns morgen bei der Arbeit.“

„Was, du willst schon gehen? Du kannst mich in diesem Zustand doch nicht alleine lassen. Ich brauch' jetzt wirklich jemand zum Kuscheln. Unbedingt! Schlaf' doch heute hier. Dann machst du morgen nur einen kurzen Umweg über deine Wohnung und holst dir frische Klamotten. Fertig.“

Andreas lächelte sie gequält an. „Ich glaube, das ist keine gute Idee.“

„Wieso denn nicht? Und wenn ich ganz lieb bitte sage?!“ Jana zog einen Schmollmond und blickte Andreas mit großen Augen treuherzig an. „Bitte, bitte, bitte.“

Andreas holte tief Luft und eine steile Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. Dann platzte es auf einmal aus ihm heraus und er fuhr sie zornig an: „Jetzt hör endlich auf damit, Jana. Mir steht es bis hier! Nur weil du mich wie deinen besten schwulen Freund behandelst, bin ich es noch lange nicht.“ Andreas stand in voller Länge vor ihr und schaute wütend auf sie herunter. „Wie blind kann man eigentlich sein. Echt, Jana, du bist so naiv. Es gibt nur einen Grund, einen einzigen Grund, aus dem ein heterosexueller Mann über Nacht bei seiner heißen, trostbedürftigen Kollegin bleibt. Nämlich um die Situation auszunutzen und einmal Sex frei Haus abzustauben. Erst recht, wenn die sich ihren ach so großen Liebeskummer nur einbildet. Aber das ist nicht mein Stil. Bedaure.“ Er machte eine kurze Pause: „Es sei denn natürlich, das ist genau das, worum du mich bittest. Das wäre etwas anderes.“ Andreas sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen und einem strengen Blick an. „Also. Bittest du mich darum, heute Nacht wilden und hemmungslosen Sex mit dir zu haben, bis du nicht mehr laufen kannst oder weißt, welches Jahr wir haben?“

Jana starrte Andreas verwirrt an. In ihrem Nebennierenmark stieg sprunghaft die Produktion von Adrenalin an. Ihr Blutdruck erhöhte sich, ihr Herzschlag beschleunigte sich, ihre Bronchien weiteten sich. In ihrer Nebenniere wurde vermehrt Cortisol ausgeschüttet, was eine zusätzliche Aktivierung ihres Stoffwechsels bewirkte. Janas Gedanken wirbelten durcheinander und verweigerten die Bildung eines zusammenhängenden Satzes. Ihr Herz klopfte so stark, dass sie das Pochen in ihrer Halsschlagader spürte. Erschreckt schüttelte sie den Kopf. Jana sah, wie Andreas riesig vor ihr aufragte. Hinter ihm warf das flackernde Licht der Kerzen verzerrtes Schattenkonfetti an die Wand. Erstaunt bemerkte sie auf einmal, dass sein rechtes Ohr kleiner war als das linke. Das war ihr vorher niemals aufgefallen oder sie hatte es einfach nicht wichtig gefunden. Jetzt erschien es ihr plötzlich wie ein einzigartiges, besonderes Detail. Wie etwas, das von monumentaler Bedeutung war. Sein rechtes Ohr war kleiner. Sowas. Süß irgendwie. Und auch das Ohrläppchen war irgendwie anders geformt. War es runder oder ovaler? Vielleicht auch eher etwas spitz. Andreas räusperte sich und Jana schreckte auf. Als ihr klar wurde, dass sie Andreas die ganze Zeit auf seine Ohren gestarrt hatte, schoss ihr das Blut in die Wangen.

„Gut, dann geh' ich jetzt. Jana, ruf' eine deiner Freundinnen an. Ich bin in dieser Angelegenheit echt der falsche Ansprechpartner. Sorry.“

Kurz darauf hörte Jana die Wohnungstür ins Schloss schnappen und schüttelte verdattert den Kopf.

„Was war das denn“, murmelte sie nach einer Weile vor sich hin und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Der hatte sie ja nicht mehr alle. Warum konnten sie denn jetzt bitte nicht mehr kuscheln und sich über Liebesangelegenheiten unterhalten? Ging doch früher auch. Und hatte er sie eben tatsächlich Kollegin genannt? Waren sie jetzt etwa keine Freunde mehr? Mannomann, der war ja richtig wütend gewesen. So kannte sie ihn gar nicht. Irgendwie bedrohlich. Und was sollte das überhaupt heißen: eingebildeter Liebeskummer?! Sie bildete sich ihre Gefühle doch nicht ein. Jana dachte noch eine ganze Weile über Andreas' seltsames Verhalten nach, bis ihr irgendwann wieder einfiel, dass sie ja eigentlich todunglücklich war, weil sie in den schönen und nun vergebenen Tom verliebt war.

 

Verliebtheit, die: eine Phase der intensiven Zuneigung, die sich wieder auflösen, abflauen oder in Liebe übergehen kann. Der Zustand der Verliebtheit ist in neurobiologischer Hinsicht durch einen erhöhte Adrenalin-, Cortisol- und Neutrophinspiegel sowie durch die vermehrte Ausschüttung von Dopamin im Belohnungszentrum des Gehirns gekennzeichnet. Dadurch entstehen typische Symptome der Verliebtheit wie Euphorie und die Neigung zur irrationalen Handlungen. In psychologischer Hinsicht wird der Zustand der Verliebtheit von einem eingeengten Bewusstsein begleitet. Umgangssprachlich spricht man von der „rosaroten Brille“.

 

Jana starrte auf ihrem Smartphone auf das neue Facebook-Profilbild von Tom. Neben ihm stand seine nett aussehende Freundin. Sie verstand es einfach nicht. Wie konnte er mit der zusammen sein? Hatte sie sich das Flirten nur eingebildet? Hatte sie nur gesehen, was sie sehen wollte und alles andere ausgeblendet? Tatsächlich fand sie Tom auf einmal kaum noch attraktiv. Was hatte sie an dem noch gleich so toll gefunden? Und was war das jetzt auf einmal mit Andreas? Warum redete er davon, es wild und hemmungslos mit ihr zu treiben? Und hatte sie sich verhört oder hatte er sie wirklich 'heiß' genannt? Jana musste unwillkürlich grinsen und merkte überrascht wie ihr Körper auf den Gedanken reagierte. Erneut schüttete ihre Nebenniere die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus. Ihr Herz klopfte schneller und im Bauch machte sich eine kribbelnde Übelkeit breit. „Andreas“, sagte sie leise vor sich hin. Das flatternde Gefühl in der Magengegend verstärkte sich. Sie probierte es gleich noch einmal: „Andreas findet mich heiß“. In ihrem Gehirn erfolgte eine verstärkte Ausschüttung von Dopamin und Neurothrophinen. Sie empfand ein glückliches Hochgefühl. Sie fühlte sich euphorisch. Tatsächlich. Der Gedanke an Andreas machte sie an. War sie irgendwie gestört? Eben hatte sie sich doch noch wegen Tom die Augen aus dem Kopf geweint. Jetzt lag sie auf ihrem Bett und dachte lächelnd über Andreas' Ohren nach. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Sie musste mit jemandem sprechen. Mit Andreas. Ja, genau. Sie musste ihn jetzt unbedingt fragen, wie er das mit der eingebildeten Verliebtheit gemeint hatte. Kurzentschlossen schnappte sie sich ihr Smartphone, starrte nachdenklich aufs Display und kaute dabei unkontrolliert auf ihrer Unterlippe herum. Schließlich schrieb sie:

Kurz darauf antwortete Andreas:

 

Jana überlegte kurz und schrieb dann mit plötzlich wild schlagendem Herzen hinterher:

 

 

Es dauerte geschlagene sieben Minuten bis Andreas wieder antwortete. In dieser Zeit tigerte Jana pausenlos durch ihre kleine Wohnung und dachte mehrfach, sie müsse sich übergeben. Ihr Herz raste genauso wie ihre Gedanken. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Sie waren doch Kollegen! Wie sollte sie morgen im selben Büro mit ihm arbeiten - sie hatte ihm ja gerade quasi Sex angeboten. Und er hatte es noch nicht mal nötig, darauf zu antworten. O Mann, das war wirklich eine ganz, ganz dumme Idee gewesen. Was war da bloß über sie gekommen? Wie peinlich. Wie endlos peinlich. Da vibrierte ihr Smartphone. Janas Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Und sie las:

 

Jana musste lachen. Zum dritten Mal an diesem Abend überflutete sie eine Welle von Adrenalin und Cortisol und brachte ihr Herz zum Rasen. Mit zitternden Fingern tippte sie, vertippte sich, löschte, tippte nochmal, löschte wieder, bis da schließlich stand:

 



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